Klettern jenseits des Polarkreises
==========================
Längst hat es sich unter den sächsischen Kletterern
herumgesprochen, dass
Norwegens Granitberge ausgezeichnete Kletterziele bieten. Viele kennen aus
eigenem Erleben die superglatten Reibungsplatten von Setesdal und Hägefjell oder
die ausgesetzten Kanten des Romsdalhorns. Aber Norwegen erstreckt sich
unendlich weit nach Norden und Insider wissen, dass man die schönsten Berge erst
jenseits des Polarkreises findet. Und einer von diesen ist unbestritten der König aller
Berge Norwegens - der sagenhaft schöne Stetind. Unglaublich steil ragen seine
blitzsauberen Granitwände direkt aus dem Meer fast 1400 Meter bis zum schlanken
Gipfel empor. Vor allem die Bilder dieses Berges waren es, die mich und meine
Frau bewegten, die weite Reise in den Norden anzutreten.
Normalerweise bereiten wir uns
gründlich auf eine solche Reise vor, doch
diesmal hatten wir damit Schwierigkeiten. Keiner unserer Freunde war jemals so
weit im Norden klettern und deutsch- oder englischsprachige Kletterführer waren
nicht aufzutreiben. Unsere Informationen beschränkten sich im Wesentlichen auf die
“Klatrekart”, eine Landkarte ganz Norwegens, die die Lage von ca. 300
Klettergebieten anzeigt und kurz über Anzahl, Länge und Schwierigkeit der Routen
berichtet. Diese Karte erstanden wir glücklicherweise während unserer letzten
Norwegenreise - sie ist auch jetzt noch dort im Buchhandel erhältlich. Weiterhin
kannten wir die Berichte von Lutz Bormann über seine Klettereien auf den Lofoten
und am Stetind im BERGE - Heft 70 / 1995. In der Summe wussten wir also sehr
wenig, und weil der Zugang zu Informationen über dieses Gebiet so schwierig ist,
möchte ich im Folgenden über unsere eigenen Erfahrungen berichten.
Der Weg ist weit
bis zu den Lofoten, von Dresden aus sind es fast 3000 km.
Aber dieser Weg führt durch so reizvolle Landschaften, dass es uns leicht fällt, die
lange Fahrt als angenehmen Teil des Urlaubs aufzufassen. Wir fahren über die
langen Brücken am Großen Belt und Öresund. Die Mautgebühr beträgt 63 Euro,
liegt also wesentlich unter den Kosten für Fähren. In Schweden fahren wir ab
Göteborg auf der Straße Nr. 45 bis Kiruna. Auf dieser Straße kommt man schnell
voran, viel schneller als etwa auf der E6 in Norwegen. Und die Landschaft ist
einzigartig schön. Zu schade, dass wir kein Boot dabei haben. Die vielen Seen und
Flüsse laden geradezu magisch zu einer erholsamen Fahrtunterbrechung ein.
Auf unsere Touren
auf den Lofoten möchte ich nicht näher eingehen. In der
Nord Norsk Klatreskole von Henningsvär kann sich jeder vor Ort selbst über
geeignete Kletterziele informieren. Hier bekommt man auch bei Bedarf den
englischsprachigen Lofoten-Kletterführer “Climbing in the Magic Islands” des
Amerikaners Ed Webster. Nur zwei Orte möchte ich erwähnen, die man unbedingt
aufsuchen sollte:
- Da ist einmal der Reineryggen oberhalb von Reine auf der Insel Moskenes.
Eigentlich ist es mehr eine steile Wanderung. Nur wenn man auch auf den höchsten
Aussichtspunkt will, ist eine kurze Kletterstelle der Schwierigkeit 2 zu überwinden.
Den Tiefblick auf das malerisch gelegene Reine wird man wohl niemals vergessen.
- Und zweitens gibt es das Klettergebiet bei Kalle etwa 10 km östlich von
Henningsvär. Hier wird aber auch jeder Wunsch des Kletterers erfüllt. Der
Kleinsteinfreund findet am Meer wunderbare Blöcke und Wände aus rotem Granit.
Das Gestein ist so rauh, dass sich die Akrobaten sebst bei Regen schaffen können.
Darüber aber ragt der Vogakallen ( 942 m ) in den Himmel. Auf ihn führen sechs
Wege ab Schwierigkeitsgrad 4 und sein 700 m langer “Storepillaren” (6+,A2) wird
mit dem Dru-Bonattipfeiler verglichen - mit dem Vorteil, dass man vom Parkplatz
bis zum Wandfuß ganze 30 Minuten geht. Uns reicht es, den Pfeiler anzustaunen.
Wir baden im 20 Grad warmen Wasser eines Bergsees (immerhin 300 km nördlich
des Polarkreises !) und warten darauf, dass endlich irgendwelche Experten
einsteigen - leider vergeblich.
Von den Lofoten aus sehen
wir im Süden auf dem Festland in etwa 50 km
Entfernung ein auffallendes Felshorn. Wir denken, das kann nur der Stetind sein.
Aber ein Blick auf die Karte belehrt uns, dass es sich um den Hamaroy Skaftet
handelt. Wir setzen mit der Fähre nach Skutvik über und fahren auf der Straße
Nr.81 in nordöstliche Richtung. Nach etwa 8 km steht das Horn direkt über uns.
Einheimische sagen uns, dass zwei Wege zum Gipfel führen, der Normalweg von
Westen (3+) und ein schwieriger Weg von Osten (6). Natürlich entscheiden wir uns
für den Normalweg, denn unser einziger Wunsch ist, irgendwie den prächtigen
Gipfel zu erreichen. Auf einem kleinen Mautstäßchen gelangen wir direkt unter den
Westfuß des Berges. Die Kletterei selbst erweist sich als angenehm, gesunder Fels
an einer etwa 150 Meter hohen Kante. Die Schlüsselstelle ist ein Hangelquergang -
für die Füsse absolut nichts, aber ausreichend große Griffe. Vom exponierten Gipfel
genießen wir lange die prächtige Rundumsicht.
Wir hatten mit vier anderen
Sachsen vereinbart, uns auf dem Parkplatz am
Westausgang des Stetind-Tunnels zu treffen. Schon 2 Tage vor der vereinbarten
Zeit sind wir auf dem Parkplatz, so heiß sind wir nach dem Erfolg am Skaftet auf
den Stetind. Als wir ankommen, steckt der Gipfel in den Wolken. Dann aber kommt
Wind auf und gibt den Berg Stück für Stück unseren staunenden Augen preis. Je
mehr wir sehen, desto beklommener wird uns zumute. So furchterregend steil haben
wir uns den Berg nicht vorgestellt. Einige Seilschaften verlassen den Parkplatz
Richtung Berg. Sie wollen das für die nächsten zwei Tage vorausgesagte
Schönwetter ausnutzen. Es ist schon Mittag, aber es ist völlig egal, wann man
aufbricht - hier sind im Juli auch die Nächte taghell. Uns gibt die Wetterprognose zu
denken. In der Hoffnung, dass uns die Freunde den vorzeitigen Aufbruch nicht
übelnehmen, klemmen wir eine Nachricht an den Scheibenwischer, packen noch das
Zelt zur Kletterausrüstung und wandern auf dem markierten Pfad hinauf zum See
Svartvatnet. Hier am See gibt es märchenhaft schöne Flecken für das Zelt. Einige
Stunden Ruhe tun uns gut, doch dann treibt uns die Furcht vor dem angedrohten
Wetterumschwung weiter. Steil gehts hinauf zum Ostgrat und diesen zum Vorgipfel.
Erst hier ist es nötig, das Seil anzulegen. Nach einiger Zeit erreichen wir die
Schlüsselstelle des Normalweges, wie am Skaftet ein kurzer Hangelquergang (4+).
In ihm stecken vier Haken, die darauf hinweisen, dass diese Stelle bei ungünstigem
Wetter wesentlich höhere Anforderungen stellt. Nach dem Quergang wird das
Gelände wieder leicht und bald erreichen wir die überraschend große
Gipfelplattform. Sie ist größer als ein Fußballfeld. An der Nordwestecke steckt das
Gipfelbuch in einem Steinmann. Gestern waren sechs Seilschaften auf dem Berg. So
viele waren es vor 1992, also bevor die Straße von Kjöpsvik nach Narvik
fertiggestellt war, oft nicht einmal in einem ganzen Jahr. Damals musste man sich
noch in einem Fischerboot an den Fuß des Berges bringen lassen.
Lange genießen wir die Gipfelrast. Wir fühlen uns wie in einem Flugzeug, so
steil brechen die Wände zum Stefjord ab. Doch irgendwann wird es Zeit und wir
klettern den Grat zurück. Kurz vor der Abseilstelle, mit der man den heiklen
Hangelquergang umgeht, hören wir plötzlich vertraute Stimmen. Es sind unsere vier
Sachsen. Wir sind froh, dass ihre Kritik an unserer Untreue nicht zu heftig ausfällt.
Und wir sind auch froh, dass wir nicht gemeinsam mit diesen Geschwindkletterern
gehen mussten. Für uns war der zweigeteilte Aufstieg mit der erholsamen Nacht im
Zelt bestimmt die bessere Lösung.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass uns die Besteigung des Stetind sehr
beeindruckt hat. Der Berg, der von Nordwesten her unersteigbar erscheint, hat
glücklicherweise am Ostgrat seine schwache Seite, so dass auch Normalos das
Gipfelglück genießen können. Eine leistungstarke 2er-Seilschaft braucht für den
Normalweg vom Parkplatz bis zum Gipfel nicht mehr als 6 Stunden. An Material
sind eigentlich nur ein Halbseil, ein paar Schlingen und Karabiner erforderlich.
Sollten im Gipfelbereich Schnee und Eis auftreten, sind außerdem Steigeisen
anzuraten. Ein viel anspruchsvollerer Weg dagegen ist der ebenfalls oft begangene
Südpfeiler (6), wie man im BERGE-Bericht von Lutz Bormann nachlesen kann.
An den meisten Bergen im Norden Norwegens ist man sehr einsam. Selten
trifft man im Gebirge andere Bergsteiger. So ist leicht erklärlich, dass hier noch
lohnendes Neuland zu erschließen ist. Altmeister Herbert hatte bereits vor Jahren
einen Berg mit einer riesigen Plattenwand entdeckt. Damals rang er der
jungfräulichen Wand drei Seillängen ab, bis schlechtes Wetter einen weiteren
Vorstoß verhinderte. Diesmal wollte er den Weg vollenden. Und das tat er denn
auch. Für uns Nachsteiger war es faszinierend, Herbert in diesem Weg zu erleben.
Ungeachtet des grauen Schimmers auf seinen Haaren erschloss er ganz souverän
diese Riesenwand. 20 ausgewachsene Seillängen, eine so schön wie die andere. Der
Berg heißt übrigens Litleidtinden. Er steht in einer bezaubernd schönen Landschaft
am Mörsvikbotn, etwa 80 km nördlich von Fauske. Der neue Weg durch die
Ostwand ist für meine Begriffe einer der schönsten Norwegens überhaupt - 800
Meter Genusskletterei in annähernd gleichbleibender Schwierigkeit. Eine Stelle
allerdings brachte nur Herbert einwandfrei. Ich denke, er wird wohl selbst über
seinen Weg ausführlich berichten, damit ihn auch andere genießen können.
Noch eine ergänzende Information:
Norwegens Kletterer berichten in
www.steepstone.com
über ihre Aktivitäten in dieser Region, u.a. stehen
hier auch Angaben zu einem “Stetind Climbing Guide” von Geir Arne Bore.
zurück
zur Startseite