Was solls, das eigene Hemd...

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        Im Sommer 1970 fuhr I. (also ich) zum ersten Mal in den Kaukasus. Es war damals nicht leicht, eine solche Fahrt zu bekommen. I. schaffte es durch einen glücklichen Umstand: Kletterfreund E. aus der frühen Zittauer Jugendzeit hatte große Karriere gemacht. Als oberster DWBO-Vorsitzender aller Ostberliner Bergsteiger besaß er die Macht, derartige Fahrten zu organisieren und auch die Teilnehmer auszuwählen. Erfreulicherweise hatte er trotz seines steilen Aufstiegs nicht vergessen, wo seine Wurzeln lagen und lud unter Nutzung seines hohen Amtes I. und einige andere Dresdner Bergfreunde als Gäste einer Kaukasusfahrt der Berliner Bergsteiger ein. Welch ein Glück für die Eingeladenen - endlich wurde der Traumberg Uschba zum realisierbaren Ziel. Kalt lächelnd übersahen sie die neidvollen Blicke der vielen anderen Dresdner, die keinen E. und damit keine Chance für eine Reise zu den hohen Schneebergen hatten. Was solls, dachten sie, das eigene Hemd...
         Gleichzeitig mit den Berlinern fuhr eine Gruppe Leipziger Bergsteiger zum Kaukasus. Sie bestand zu einem großen Teil aus jungen Damen, die meisten davon noch ledig, wie E. augenzwinkernd mitteilte. I. war das recht und sein ebenfalls unbeweibter Freund H. hatte auch nichts dagegen.
         Die Tage im Kaukasus waren angefüllt mit unvergesslichen Erlebnissen. Am Ende war noch eine Besteigung des Elbrus vorgesehen. Aus beiden Gruppen fanden sich alle die zusammen, die noch nie auf diesem mächtigen Berg gestanden hatten, unter ihnen I. und H. und auch einige der hübschen Damen aus Leipzig. Jetzt zum Ende des Urlaubs sahen sie besonders lecker aus, sportlich gestählt und knusprig braun durch die kräftige Sonne des Hochgebirges. K. aber war mit Abstand die Schönste von allen, das hatten I. und H. mit scharfem Blick schnell festgestellt. In den folgenden Tagen strichen sie beide mit Ausdauer um diese Schönheit herum. Dabei stellte I. zu seiner größten Verwunderung fest, dass ihm K. ebenfalls gute Chancen einräumte. Das war wirklich ein Wunder nach all den bitteren Niederlagen, die er bei den zurückliegenden Duellen mit H. hatte einstecken müssen. So fasste er Mut zu verstärkten Bemühungen und als er beim finalen Aufstieg zum Elbrusgipfel sah, dass K. unter der Last ihres übergroßen Rucksacks Probleme bekam, war er flugs zur Stelle und nahm ihr einen guten Teil des Ballasts ab. Diese edle Tat erwies sich als kriegsentscheidend, denn durch sie schnellte sein Ansehen bei K. auf einen uneinholbaren Stand. Allerdings war auch etwas Unfairnis im Spiel, denn I. hatte sehr wohl bemerkt, dass der sonst so starke H. gerade in diesem entscheidenden Moment unter einer Art Höhenkrankheit litt und deshalb genug damit zu tun hatte, sich selbst nach oben zu schleppen. Was solls, dachte I., das eigene Hemd...
         Als die Gipfelstürmer am Abend abgekämpft, hungrig und ungewaschen im Prijut 11 auf ihren Betten lagen, ging K. durch alle Zimmer und lud zum Abendessen ein. Während die anderen einfach nur erschöpft herumlagen, hatte sie mit unglaublicher Energie einen prächtigen Eintopf gekocht. I. ging ein Licht auf: K. war nicht nur schön, sie hatte offensichtlich auch die Anlagen zu einer guten Hausfrau.
Dass diese Ahnung nicht trog, weiß I. heute ganz genau. K. wurde nämlich seine Frau und sie bekochte ihn so gut, dass er infolge ständig zunehmender Leibesfülle vorzeitig seine geplante Karriere zum Spitzenkletterer abbrechen musste. Er verzichtete jedoch gern auf den sportlichen Ruhm, viel wichtiger wurde ihm sein trautes Heim.
         Nachzutragen ist, warum damals im Kaukasus K. den eher unscheinbaren I. neben dem übermächtigen H. überhaupt wahrgenommen hatte. Zur Lösung dieses Rätsels muss etwas weiter ausgeholt werden. I. bekam die Hilfe eines glücklichen Zufalls. Zufällig hat er nämlich einen Bruder, jünger, etwas kleiner von Wuchs und ebenfalls Kletterer. Um die beiden besser unterscheiden zu können, nannte man sie (ähnlich wie im Märchen die beiden Klause) den großen und den kleinen Uxe. Nun hatte die schöne K. vor der Kaukasusreise erfahren, dass auch Dresdner mitkommen würden. Man zählte ihr einige davon auf, darunter auch den "großen Uxe". Bekanntermaßen hat das Wort groß aber neben seiner normalen Bedeutung auch eine überhöhende, etwa wie in Karl der Große. K. beging den folgenschweren Irrtum, I. in ihrem Gedächtnis als Uxe den Großen zu registrieren. Erst Jahre später gestand sie ihrem Ehemann in einer schwachen Stunde diesen Irrtum und dass ihr, als sie damals den Großen Uxe vor Ort im Kaukasus näher unter die Lupe nahm, alles was dieser tat und sagte zwangsläufig als außergewöhnlich und bedeutungsvoll erschienen war. Im Vergleich zu H. wurde er in ihren Augen zumindest ebenbürtig. Als sie später ihren Irrtum erkannte, war sie im dritten Monat schwanger und eine Umkehr längst ausgeschlossen. Nach diesem Geständnis fiel es I. wie Schuppen von den Augen: den überraschenden Erfolg seines Werbens hatte er also nur einem dummen Irrtum zu verdanken. Wie unangenehm. Und wie bedrückend der Gedanke, Freund H. damals unfair nur durch einen Irrtum aus dem Feld geschlagen zu haben. Aber dann sagte er sich, was solls, das eigene Hemd... Und außerdem muss sich H. ja gar nicht weiter grämen, denn schließlich hat auch er später ein holdes Weib errungen und vielleicht sogar die bessere Köchin.

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